Banditenland
Vor ein paar Jahren war ich auf der Insel Korfu in Urlaub. Ich saß an einem Nachmittag bei unserem Gastgeber Dimitri und genoss ein Bier und eine große Zigarre, während wir uns über nichts Besonderes unterhielten. Urlaub eignet sich bestens, sich über nichts Besonderes zu unterhalten und das auch noch zu genießen. In der Ferne beobachtete ich die großen Berge, die an der Küste von Ipsos beginnen und sich landeinwärts ziehen. Die Berge auf Korfu sind sehr grün; es ist die grünste der griechischen Inseln und kann sehr schön sein.
Die grünen Bäume bedecken so ungefähr den ganzen Berg, die Berge sind sehr groß und sahen von dort, wo wir saßen, recht unpassierbar aus. Ich stellte mir vor, dass das ein gutes Versteck sein könnte, wenn man sich auf der Flucht vor dem Gesetz befindet, also fragte ich Dimitri: „Ist das Banditenland?”
Wenn ich an ein Banditenland denke, denke ich entweder an die Banditen, die im Wilden Westen zu den Hügeln rannten, oder an die Bandidos in Südamerika. Selbst die Widerstandskämpfer in Europa hatten während des Krieges ihre Berg- oder Waldverstecke. Dieser Berg in Korfu wäre genau der richtige Ort für eine Bande verzweifelter Geächteter, sich zu verstecken oder ein Berglager zu errichten, um von dort aus den Kampf gegen die bösen Herrscher zu führen. Die perfekte Bergromantik lädt dazu ein, einen Roman über verschwitzte Männer mit Revolvern, Patronengürteln und beeindruckend großen Hüten zu schreiben.
Genauso wie in der E-Mail- oder SMS-Kommunikation, kann Humor manchmal durch Übersetzung verloren gehen, wenn man mit jemandem mit anderer Muttersprache spricht. Ich musste zuerst erklären, was Banditenland bedeutet, und als ich das tat, war Dimitri ziemlich verwirrt und sagte mir, dass es auf Korfu kein Verbrechen gäbe und dass die Leute nicht in die Berge flüchten, um der Polizei zu entkommen. Es sei eine sehr friedliche Insel. Sobald Dimitri den Witz verstanden hatte, erzählte er mir, dass es nur sechs Polizisten auf der ganzen Insel gäbe, da mehr nicht gebraucht würden. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm das glauben sollte, weil ich vorher alleine schon in der Ecke, in der ich wohnte, drei Polizisten gesehen hatte. Aber ich habe ihm gerne abgekauft, dass es dort nicht viele Polizisten pro Kopf gibt, weil man sie eigentlich sehr selten auf der Straße sieht. Vielleicht hatte Dimitri ja doch Recht.
Er ist nicht der Einzige, der mir gesagt hat, dass die Polizei nur über sehr wenig Personal verfügt. Als ich in einer Kneipe in der Nähe der Stadt rauchen durfte, fragte ich den Wirt nach dem Rauchverbot, da ich wusste, dass es in Griechenland eines gibt, es aber alle zu ignorieren scheinen. Eigentlich habe ich nur danach gefragt, weil wir in der Kneipe saßen und nicht draußen an Tischen, wie es bei so schönem Wetter üblich ist. Wie mir der Wirt erzählte, wäre selbst dann, wenn die Polizei zufällig vorbeikäme und die Polizisten an diesem Tag auch noch ungewöhnlich schlechte Laune mitbrächten, die Wahrscheinlichkeit immer noch äußerst gering, eine 50-Euro-Geldstrafe für das Rauchen in einem geschlossenen Raum aufgebrummt zu bekommen. Das sei so selten, sagte er, dass er das nie selbst erlebt habe. So sieht Zivilisation aus!
Als in England 2007 das totale Rauchverbot eingeführt wurde, habe ich für eine Brauereikette gearbeitet und erinnere mich daran, dass alle Brauereien das Verbot mit offenen Armen begrüßten. Sie glaubten alles, was man ihnen erzählt hatte, auch dass Horden von Nichtrauchern in die Pubs strömen, sobald das Rauchen dort verboten wird, und dass die Einnahmen nichts als steigen würden. Ich weiß nicht, ob die Brauereien nur ungeschickt oder zu leichtgläubig agiert haben. Vor dem Verbot habe ich wenig darüber nachgedacht, aber ich konnte absehen, dass nichts Gutes bevorsteht. Und die Geschichten von den ganzen Nichtrauchern, die plötzlich aus dem Unterholz hervorkriechen und der Industrie Umsatzzuwächse bescheren würden, konnten nicht der Wahrheit entsprechen, das war schlicht unmöglich.
Als Barmann, der zu dieser Zeit rauchte, hatte ich Probleme, eine Zigarettenpause zu machen, besonders wenn ich alleine an der Theke stand, da ich ja nach draußen gehen musste. Also machte ich meinen ersten ernsthaften Versuch aufzuhören. Fünf Monate lange war ich erfolgreich. Dass ich nach fünf Monaten wieder angefangen habe, lag nicht an Entzugserscheinungen. Die fünf Monate war das eigentlich ziemlich einfach für mich, nach dem anfänglichen Schock, mit etwas aufzuhören, was mir wirklich Spaß gemacht hatte. Ich habe wieder angefangen, weil sich in diesen fünf Monaten viel erheblich verändert hatte.
Ich arbeitete nicht mehr in Pubs, da sie alle dicht gemacht hatten. Jeder einzelne der Pubs in der Kette, für die ich tätig war, war zu, und niemand darf behaupten, dass es an billigem Supermarkt-Alkohol oder an der Rezession gelegen hat. Es war zu 100 Prozent das Rauchverbot, ich habe es selbst erlebt und gesehen. Das ist aber eine andere Geschichte, die ich gerne ein anderes Mal erzählen würde. Ich fing wieder mit dem Rauchen an, weil ich zu dem Zeitpunkt in einem Call-Center für eine Marketingfirma arbeitete und keinen Grund sah, nicht zu rauchen. Warum ein Callcenter? Ich brauchte das Geld.
Rauchverbote und die Anti-Raucher-Bewegung im Allgemeinen neigen dazu, solche Dinge zu tun. Sie verdrängen Raucher aus ihren Jobs und aus der zivilisierten Gesellschaft. Wenigstens wissen wir, dass alles zu unserem Besten geschieht, nicht wahr?
Die Leute fliehen aus vielen verschiedenen Gründen in ein „Banditenland”: vor dem Gesetz, zum Kampf gegen Unterdrückung oder um einem Leben zu entkommen, das sie nicht länger tolerieren können. Meine Zukunftspläne stehen bereits fest. Meine Frau und ich planen, uns in zehn Jahren oder so in Korfu zur Ruhe zu setzen. England ist für mich jetzt tot. Das liegt nicht nur am Rauchverbot, es liegt an der gesamten Volksgesundheits-Industrie, die mir erzählen will, dass ich kein Salz essen, keine zuckerhaltigen Getränke trinken, nicht zunehmen darf und ein von den Herrschenden vorgeschriebenes Leben führen muss.
Es liegt auch an der Anti-Rassismus-Industrie, die mir erzählen will, dass alles, was ich als weißer Mann tue, rassistisch sei und dass ich mich irgendwie schuldig fühlen und für Dinge büßen solle, die von längst verstorbenen Menschen verübt wurden; Dinge, die ich selbst nie zu tun beabsichtigen würde. Es liegt auch an der Homosexuellen-Industrie, die mir erzählen will, dass etwas mit mir nicht stimmt, weil ich ein heterosexueller Mann bin. Die Waffenbekämpfungs-Industrie will mir erzählen, dass ich kein Recht auf Selbstverteidigung habe und dass meine Hobbys Kinder töten. Die Beleidigungs-Industrie will mir erzählen, dass ich nichts sagen oder tun darf, was jemand anderen beleidigen könnte, und dass man mich dafür in ein Gefängnis stecken kann. Meine freie Meinung wurde mir weggenommen wurde und mir bleiben nur offiziell abgesegnete Meinungen.
Alles begann mit der Rauchbekämpfung, aber es ist so viel mehr geworden. Die traurige Tatsache ist, dass wir alle aus verschiedenen Gründen unterschiedlich angegriffen werden, aber wir halten nicht zusammen und kämpfen dagegen. Die Raucher haben alle anderen gewarnt, aber niemand hat zugehört, und jetzt sind sie alle zu sehr damit beschäftigt, ihren eigenen Kleinkrieg zu führen, während sie gleichzeitig auf ihr Recht auf saubere Luft bestehen.
Die sanften Hügel von Korfu mögen kein Banditenland sein, aber für mich werden sie eines Tages genau das. Ich ein Exilant vor dem sein, was aus meinem Land geworden ist. Ich werde ein Bandit sein und ein anderer Ort wird mein Banditenland. Zumindest ist das Wetter schön, die Einheimischen sind freundlich und vor allem kann ich rauchen.