Interview Dimitri Kosyrew (mit Video)
Emily (Cambridge Citizens for Smokers’ Rights) stellt zu Beginn des Interviews den Buchautoren und Blogger Dimitri Kosyrew, der auch als Vorstandsmitglied der „Russischen Bewegung für Raucherrechte” fungiert, vor.
Emilys erste Frage bezieht sich auf die wenig bekannte „Internationale Raucherkonferenz“ 2014 in Moskau, die laut Dimitri genauso endete wie die TICAP-Konferenz in Brüssel: „Wir redeten, aber uns wurde nicht zugehört.”
Emily: Inwieweit kann das Internet dazu dienen, die Raucher zu verbünden?
Dimitri: Das Internet ist nützlich, um Ideen zu verbreiten. Das beste Beispiel ist die Verbreitung von politischer Korrektheit.
Wie war die Einstellung zum Rauchen in der Sowjetära und gab es da auch diese Panikmache? Oder ist das eine Erfindung des Westens?
Mit Sicherheit eine Erfindung des Westens. In der Sowjetära wurden Nichtraucher sogar mit Skepsis behandelt; die besten Ideen wurden mit Zigaretten diskutiert. Es war vielleicht nicht unsere beste Zeit, aber wenigstens konnten wir ungestört rauchen. In den Neunziger Jahren war Russland viel zu sehr mit Reformen und anderem Horror beschäftigt, als sich um das Rauchen zu scheren. Man hörte allerdings, dass im Westen das Rauchen ernsthaft bekämpft wird.
Sorgen sich die Menschen in Russland auch immer mehr um ihre Gesundheit?
Menschen, die um ihre Gesundheit besorgt sind, gab es schon immer, nur nicht so übertrieben wie im Westen. Jetzt gibt es allerdings Kampagnen (z. Bsp. Impfkampagnen), die das Vertrauen der Russen in die Medizin schwer erschüttern.
Ich denke, dass die Anti-Tabak-Einstellung der Mediziner Misstrauen in der Bevölkerung verursacht. Trifft dieses auch auf Russland zu?
Mit Sicherheit. Wenn man jemandem vertraut und von diesem wegen Geld angelogen wird, dauert es sehr lange, bis das Vertrauen wieder hergestellt werden kann. Die medizinische Versorgung in Russland ist unsere Schwachstelle. Wenn man fragt, worüber sich die Russen sorgen, sind das medizinische Versorgung und schlechte Schulbildung. Das ist sehr amerikanisch, nicht wahr? Das russische Gesundheitsministerium ist besonders bei den Ärzten sehr unbeliebt. Hinter vorgehaltener Hand erzählen sie, dass das Gesundheitsministerium die Medizin umbringt. Die Mediziner geben auch zu, dass sie lügen, was das Rauchen betrifft.
Das hört sich so an, als seien die russischen Mediziner nicht auf der Linie des Gesundheitssystems.. In Amerika sind die Ärzte sehr tabakfeindlich eingestellt.
In Russland noch nicht. Da hinken wir noch hinterher. In ein paar Jahren wird es anders aussehen und unsere Mediziner werden zu ängstlich sein, um laut zuzugeben, dass das Rauchen manchmal sogar gut sein kann. Befreundete Ärzte sagen hinter vorgehaltener Hand, dass das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, bei Ex-Rauchern sehr hoch ist.
Man hört immer wieder, dass die Pharmaindustrie sehr mächtig ist und großes Interesse an der Tabakbekämpfung hat, weil sie Rauchentwöhnungsmittel verkaufen kann. Gibt es in Russland auch eine mächtige Pharmaindustrie?
Mit Sicherheit. Aber hier wird diese heutzutage eher als hässlicher Karbunkel angesehen. Und keiner mag diesen Karbunkel. Man weiß nicht mehr, wer der eigentliche böse Bube ist: die Tabakindustrie oder die Pharmaindustrie. Wir hatten auch (meistens) medizinische Versorgung, die nichts kostete. Nun haben wir Versicherungsgesellschaften, die mit allen Wassern gewaschen sind. Zum Beispiel wollen diese, dass Raucher einen um 30% höheren Beitrag einzahlen, da ein Raucher 30% weniger gesund sei als ein Nichtraucher. Dafür gibt es keine Beweise. Deshalb sind wir skeptisch.
Ich habe schon von Versicherungsvertretern gehört, dass Lebensversicherungen für Raucher und Nichtraucher gleich kalkuliert werden, da es keine Garantie dafür gibt, dass Nichtraucher länger leben.
Das stimmt. Ich kenne jemand, der viele einschlägige Gesundheitsberichte gelesen hat. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Raucher 30% weniger gesund sind. Aber noch etwas: Den wachsenden Enthusiasmus der Gesundheitsfanatiker kombiniert mit der Pharmaindustrie konnte man schon in den Neunziger Jahren beobachten. Sie waren sich ihres Erfolges sicher. Sie waren sich sicher, dass sie uns mit ihren fürchterlichen Drogen vom Rauchen kurieren werden. Der Erfolg dieser fürchterlichen Drogen sowie der Rauchentwöhnungsmittel beträgt bestenfalls 10%, im Durchschnitt sind es nur 9%. Zum Glück erkennen wir in Russland, dass diese Mittel versagt haben.
E-Zigaretten sind wahrscheinlich ein eigenes Interview wert, aber es ist interessant zu beobachten, wie die steigende Popularität der E-Zigarette hier auch eine Rolle spielt, schon weil die Pharmaindustrie durch diesen Trend einen Effekt bei ihren Produkten sieht. Tabakfirmen versuchen, in diesen E-Zigarettenmarkt einzubrechen.
Es ist interessant und es ist die fünfte Front. Das ist so ähnlich wie der Krieg in Syrien, wo an mehreren Fronten gekämpft wird und jeder jeden hasst. Die Antiraucher [in Russland], weder zahlreich noch einflussreich, verbreiten nun, dass es zwar bei E-Zigaretten keinen Rauch gibt, aber sie seien trotzdem gefährlich. Wir haben eine starke Dampferbewegung, die laut äußert: „Ihr lügt uns an! Warum lügt ihr uns an?”. Ich finde das gut, obwohl ich in Bezug auf E-Zigaretten Bedenken habe. Die Dampfer haben ihre eigene Ideologie, fern der der versagenden Tabakindustrie. Viele der Bewegung sagen, dass sie das böse Rauchen bekämpfen und sie kennen einige Tricks ihrer ehemaligen Kameraden.
Aber ich meine etwas Anderes, wenn ich sage, dass ich E-Zigaretten misstraue. Ich bin Historiker und auch Orientalist und ich weiß, dass es in den 1920er Jahren eine globale Konvention zur Reduktion von Opium (was ja konzentrierter Mohnsaft ist) gab. Die Kampagne war ein Erfolg, es gab so gut wie nirgendwo Opium mehr, weder in China, noch im Westen, wo Opium etwas Exotisches war. Dafür fand ein höher konzentriertes Opium den Markt: Heroin. Wir haben also den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Das Konzentrieren von Nikotin, wie man es nun für den Gebrauch von E-Zigaretten machen kann, finde ich besorgniserregend. Tabak ist da ungefährlicher. Für eine Nikotinvergiftung müsste man zwei Päckchen Zigaretten Kette rauchen. Das macht keiner.
Ich weiß nicht, ob man wirklich eine Nikotinvergiftung davon bekommen kann.
Man kann. Man kann sich auch mit Kaffee vergiften.
Das habe ich auch schon gehört. Aber ich nehme an, dass man dazu den Kaffee literweise trinken muss.
Wenn man das macht und nichts passiert, ist es ja gut. Aber der berühmte französische Autor Honoré de Balzac hat sich mit Kaffee vergiftet. Er musste innerhalb kürzester Zeit vier Romane schreiben, wofür er schon Vorschuss erhalten hatte. Er trank sehr viel Kaffee und zerstörte damit seine Leber. Wenn man Kaffee aber moderat konsumiert, bleibt man gesund. Das Gleiche trifft auch auf Tabak zu. Wahrscheinlich, vielleicht, hoffentlich.
Ich denke schon, dass es mit E-Zigaretten zu Problemen kommen könnte, da die Flüssigkeit konzentriertes Nikotin enthält. Es gab wohl auch schon ein oder zwei Kinder, die diese Flüssigkeit getrunken haben. Aber ich messe dem keine Bedeutung bei, da Derartiges von Antiraucher-Aktivisten für ihre Panikmache missbraucht wurde.
Wir fragen hier [in Russland], warum Menschen rauchen und warum Menschen eine E-Zigarette benutzen. Läuft etwas in unseren Leben verkehrt? Ich vermute, dass weder der menschliche Körper noch der menschliche Geist für Panikmache und Stress geschaffen sind. Ich bin in viele Weingegenden gereist, weil ich über Wein geschrieben habe. Die Menschen in diesen Gegenden, wo seit Tausenden von Jahren Wein angebaut wird, kennen keinen Alkoholismus. Aber die Menschen in den Großstädten, das ist was Anderes. Wahrscheinlich verleitet dieser Lebensstil die Menschen dort, zu viel zu trinken. In den Dörfern ist dem nicht so. Es stellt sich die Frage, ob die Menschheit ihre Probleme nie gelöst hat und, sagen wir mal ‚einfach gestrickte Seelen‘ nun versuchen, diese Probleme durch Verbote zu lösen. Und sie scheitern immer wieder.
Alles scheint in Extremen aufzutreten. Manche Menschen trinken und rauchen, und weil man ihnen sagt, dass sie das nicht tun sollen, fühlen sie sich zum übermäßigen Essen oder gar zur Überanstrengung getrieben.
Wenn diese verrückten Aktivisten, die unser Leben diktieren wollen, mit ihren Aktivitäten so weit wie möglich vom Hals bleiben würden, gäbe es vielleicht viel weniger Stress in unseren Leben. Vielleicht würden wir ja weniger trinken und weniger rauchen.
Glaubst Du, dass es jemals eine tabakfreie Welt geben wird? Eine Welt, in der Tabak ausgerottet ist, so wie der Mohn?
Mohn wurde nicht ausgerottet. Es gibt ja immer noch Heroin. Mohn wurde ja schon lange vor Christus als Medizin benutzt und es gibt ihn immer noch. Mohn rettet Leben, aber er tötet Menschen auch. Mit Tabak und Alkohol ist es das Gleiche. Du fragst, ob es eine raucherfreie Welt geben wird. Natürlich nicht. Natürlich bleibt der Tabak bestehen. Vor ca. 100 Jahren gab es ein paar Verrückte, die den Alkohol ausrotten wollten. Alkoholische Getränke wurden verboten und was ist passiert? Du erinnerst dich, dass das idiotische Verbot dein Land fast ruiniert hat, als die Menschen rebellierten. Die Leute schätzen ihre alkoholischen Getränke. Amerika wurde ein großer Weinanbauer. Das war vor der Prohibition nicht so. Alkoholische Getränke sind nun ein alltäglicher Luxus. Das Gleiche wird (hoffentlich bald) auch passieren, wenn die Anti-Raucherbewegung vor die Tür geschickt wird.
Glaubst du, dass, bevor alles besser werden kann, alles erstmal schlimmer werden muss? Dass der Tabak zuerst verboten werden muss wie der Alkohol in der Prohibition?
Ich bin nicht sicher, dass wir so viel werden ertragen müssen. Ich vermute stark, dass, auch wenn kein Kampf gegen die Antiraucherbewegung stattfindet, ja, sogar wenn wir überhaupt nichts tun, diese Antiraucherkampagne aussterben wird, weil derartige Kampagnen verderbliche Waren sind. Hier müssen wir meine Erfahrungen in politischen Kampagnen anwenden. Ich habe diese politischen Kampagnen in den Unruhen der späten Neunziger Jahren studiert. Zuerst der Jugoslawienkonflikt und dann Syrien. Was man zuerst bekommt, ist totalitäre Gehirnwäsche und alle behaupten das Gleiche. Zum Beispiel, „Assad ist ein Monster. Er tötet seine eigenen Landsleute.“ Man hört nichts anderes. Nur langsam wird die Kehrseite der Münze sichtbar. Die Gegner im Syrienkonflikt sind nicht gerade Engel. Sie töten und benutzen chemische Waffen gegen ihre Regierung. Für finanzielle Unterstützung (Geld hat Macht) müssen die alten Lügen aufrechterhalten werden, aber das bleibt nie so.
Danke für das Interview.
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