Virus, Abstand, Rauch
Ich hatte Glück, als es mir gelang, am 14. März, dem Samstag vor dem Coronavirus-Lockdown, noch einen letzten netten Besuch im Karma, meiner Lieblings-Raucherkneipe in Manhattan, einzuschieben. Bei meinem letzten Haarschnitt war die Sache sogar noch knapper, als ich es gerade so zum Frisör schaffte, bevor der Staat New York einen Tag später sämtliche „nicht lebenswichtigen“ Geschäfte schloss. Allerdings besaßen sie die große Weisheit, Schnapsläden als „lebensnotwendig“ zu klassifizieren. In der Folge kam schließlich das gesamte soziale Leben zum Stillstand. Die Menschen blieben daheim, und – wenn möglich – arbeiteten sie von dort aus.
Andere, die in systemrelevanten Bereichen tätig waren, kamen zur Arbeit, während eine ganze Menge anderer arbeitslos wurden. Kleinere Geschäfte waren sich nicht sicher, ob sie eine unbefristete Schließung überleben würden, und entließen ihr Personal dementsprechend. Arbeit und soziales Leben drehten sich um den Computer. An Stelle von echten Partys und Konzerten hielt man eben Online-Partys und -Konzerte ab. Natürlich wurden alle Sportveranstaltungen und anderen Versammlungen wie Konzerte abgesagt. Gleichermaßen auch die meisten Reisen.
Städte und sogar Großstädte nahmen eine Atmosphäre der Verlassenheit an, wie man sie aus Science-Fiction-Filmen über eine Zombie-Apokalypse kennt. An Orten, die man besuchen musste, wie z.B. Lebensmittelläden, trug eine zunehmende Zahl der Leute Gesichtsmasken, was zu einer irrealen, entmenschlichten Atmosphäre beitrug. Zu diesem Zeitpunkt waren die Masken von den Gesundheitsbehörden lediglich „empfohlen“, Behörden, die gleichermaßen empfahlen, jedermann als infiziert und potentiell ansteckend zu betrachten. „Soziale Distanzierung“ bedeutete, dass man einen Mindestabstand von 6 Fuß (1,80 m) zwischen sich und allen anderen einhalten musste, die nicht im selben Haushalt lebten wie man selbst. So wider die menschliche Natur dieses Maßnahmen auch zu sein scheinen, so fanden doch große Segmente der Bevölkerung Gefallen daran, viele sogar geradezu mit Begeisterung.
Was, so fragen Sie mich jetzt, hat das alles mit dem Rauchen zu tun? Nun, ein positiver Aspekt ist, dass Raucher sich in deutlich geringerem Maße anzustecken scheinen als die Gesamtbevölkerung. Es gibt Spekulationen, dass die Tabakpflanze ein Schlüssel zur Therapie sein könnte. Die Antiraucher-Community behauptete das Gegenteil und – allzeit bereit, bestehende Ängste zu instrumentalisieren – forderte mancherorts (speziell in Großbritannien) schon weitere Verbote.
Wir Raucher waren nicht wirklich geschockt, als das soziale Leben quasi über Nacht verpuffte – Ähnliches hatten wir bereits erlebt, als die Rauchverbote verhängt worden waren. Und auch die soziale Distanzierung ist kein neues Konzept: „Rauchen im Umkreis von 50 Fuß [etwa 15 m] um den Eingang verboten“. Die Antiraucher-Bewegung ermutigt Nichtraucher, Raucher zu behandeln, als seien sie Leprakranke und Parias; die Covid-19-Empfehlungen lauten, dass JEDER JEDEN ANDEREN als potentiell kontaminiert behandeln soll. Und da wir hier in den USA keine halben Sachen machen, hat ein „Covid-Kulturkrieg“ die Bevölkerung noch weiter polarisiert: Das Spektrum reicht von jenen, die den Virus als kompletten Schwindel auffassen, bis zu denjenigen, deren Panikmodus im Vollbetrieb ist.
Die als erste und am härtesten betroffenen Bundesstaaten waren die im Nordosten, Staaten, die dazu tendieren, die Demokraten zu wählen, und eine restriktive „Gesundheitspolitik“ zu fahren.
Und sie führten Lockdowns ein. Der Rest des Landes blieb weitgehend offen oder machte zuerst dicht und öffnete dann wieder – viel zu schnell für all die Gesundheitsexperten, die fortgesetzt vor zweiten oder dritten Wellen warnen. In letzter Zeit sind die Raten in der ersten Gruppe gefallen, und in der zweiten angestiegen, was zu Reaktionen des „Hab ich doch gleich gesagt“ und einem Maß an selbstgefälliger Schadenfreude geführt hat. Die Nachrichten zeigen typischerweise Strandgänger und überfüllte Bars, wobei sie das Aufkommen positiver Reaktionen darauf dadurch zu konterkarieren suchen, dass sie unheilschwanger verkünden, die Gesundheitsbehörden warnten vor Menschenansammlungen. In einigen republikanischen Bundesstaaten gab es Anti-Lockdown-Proteste. Präsident Donald Trump hat diese ermutigt und es wurde spekuliert, es handle sich um gefakete Graswurzelbewegungen, die tatsächlich von oben bezahlt und gesteuert worden seien.
Allerdings ergehen sich beide Seiten in solche Anschuldigungen. Viele Menschen mögen den Lockdown-Maßnahmen ja skeptisch gegenüberstehen, waren dann aber ziemlich abgetörnt, angesichts des Spektakels von bewaffneten Demonstranten, die, häufig angetan mit rassistischen Symbolen, Parlamentsgebäude besetzen, und (am allerschlimmsten) dem Pflegepersonal Schmähungen zubrüllen, dabei den Heldenstatus, welches die Allgemeinheit letzterem heute zubilligt, schmählich ignorierend.
Die Maske ist letzthin extrem symbolisch für unsere polarisierte Gesellschaft geworden. Auf der einen Seite gibt es Proteste gegen die Maskentragepflicht, die als Angriff auf die individuelle Freiheit und vielleicht auch als Vorbote noch größerer Einschränkungen gesehen wird.
Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die darauf beharren, die Masken seien unentbehrlich, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, und jene, die sich weigern, sie zu tragen, seien egoistisch und verantwortungslos. Es gibt Fälle, in denen sowohl maskentragende als auch maskenlose Personen für ihre jeweilige Entscheidung in der Öffentlichkeit beleidigt worden sind, je nach den regionalen Verhältnissen. Einst eine Frage der persönlichen Entscheidung, werden die Masken heute von vielen als Zeichen der Tugendhaftigkeit und humanitären Betroffenheit betrachtet, und die sozialen Medien strotzen von Kritik an Maskenlosen und sogar dem ausdrücklichen Wunsch, ihnen physischen Schaden zuzufügen. Also alles wieder sehr ähnlich wie im Krieg gegen die Raucher (siehe dazu auch Michael J. McFaddens exzellenten Beitrag „Wall of Hate“).
Ende Mai wurde ein schwarzer Mann in der Öffentlichkeit durch einen Polizeibeamten umgebracht, der fast neun Minuten lang auf seiner Luftröhre kniete, bis der Mann den Erstickungstod erlitt.
Dies war der letzte einer langen Reihe von Vorfällen von Polizeibrutalität und widerrechtlicher Tötung, wobei die unverhältnismäßige Mehrheit der Opfer Afro-Amerikaner waren. Erst im März wurde eine Rettungssanitäterin im Laufe einer verpfuschten Polizeirazzia in ihrer eigenen Wohnung erschossen. Im ganzen Land und in Übersee brachen massive Proteste aus. Für eine Zeitlang vergaßen alle Corona. Und obwohl große Personengruppen in den Straßen marschierten – nicht alle maskiert, und praktisch niemals 6 Fuß Abstand haltend – gab es nur sehr wenig des Händeringens all der Medienexperten und Offiziellen, die zuvor noch Partys und Gottesdienste verteufelt hatten. Ebenso wenig gab es Horror-Schlagzeilen, die Infektionen mit Protestkundgebungen in Verbindung brachten, wie das bei anderen Versammlungen geschehen war.
Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio verkündete sogar ausdrücklich, dass Protestkundgebungen, speziell diese „Black Lives Matter“-Proteste erlaubt seien, während andere Versammlungen (Paraden, Festivals etc.) verboten blieben. Dies ist natürlich auch den Kritikern nicht entgangen, die jetzt sagen, dass die Pandemie offensichtlich nicht ganz so ernst sein kann, oder sich fragen, welcher Zauber denn die Demonstranten beschützt, aber nicht etwa Hochzeitsgäste oder Basketball spielende Teenager. (In einer kalifornischen Stadt wurde ein populärer Skateboard-Park behördlich abgerissen, als es nicht gelungen war, Enthusiasten von seiner Benutzung abzuhalten).
Momentan können Antiraucher-Aktivisten nicht behaupten, dass Raucher wahrscheinlich an Covid-19 erkranken werden, weshalb sie auf die Behauptung ausweichen, dass Raucher, wenn sie die Krankheit denn bekommen (dass die Erkrankungsquoten bei Rauchern niedriger sind, verschweigen sie immer), sich nur schwerer wieder davon erholen. Es gab denn auch Vorschläge, das Rauchen in Casinos zu verbieten.
Wer weiß, was die Zukunft bringen wird? Es scheint, als hätte man neue Barrieren zwischen den Menschen errichtet und neue Begründungen für Intoleranz eingeführt, trotz des Slogans „Wir sitzen alle in einem Boot“. Das soll allerdings nicht heißen, dass nicht auch viel Gutes in den Menschen als Folge der Krise zu Tag trat, wie stets aber in einer Mischung mit weniger Erstrebenswertem.