Griechische Eigenheiten
Warum funktioniert das Rauchverbot in Griechenland nicht wirklich?
Die Griechen sind im Großen und Ganzen ein ziemlich gesetzestreuer Haufen. An offensichtlichen Verbrechen passiert nicht viel, und die Griechen neigen dazu, sowohl Vertrauen zu haben als auch vertrauenswürdig zu sein. So überrascht es viele, die z.B. aus dem Vereinigten Königreich nach Griechenland kommen, wie wenig Rauchverbote, Motorradhelmvorschriften und Gurtpflicht beachtet werden. Diese Missachtung bestimmter Aspekte von Gesetze wurzelt meines Erachtens im Misstrauen der Griechen gegenüber den Politikern und den Regierungen, denen diese angehören.
Steuervermeidung und -hinterziehung waren in Griechenland schon immer ein Volkssport, und ein normaler Kleinunternehmer denkt zwar gar nicht daran, das Geld seiner Kunden zu stehlen (obwohl er versucht, den bestmöglichen Preis herauszuschlagen), hat aber andererseits keine Hemmungen, auf seinem hart verdienten Geld hocken zu bleiben, wenn das Finanzamt vor der Tür steht. So war, als ich hier eine Kneipe geführt habe, in einem Buschtrommelnetzwerk von Händlern, die, als die Steuerfahnder in einer Kneipe oder einem Restaurant in der Gegend nach Quittungen gesucht haben, sofort anriefen, um die Inhaber anderer Lokale in der Nachbarschaft zu warnen. Örtliche Rivalitäten verblassten angesichts des gemeinsamen Feindes.
Das Finanzamt zu betrügen gilt nicht als kriminelle Betätigung, sondern als Pflicht jedes freien Griechen. Und da liegt, so glaube ich, des Pudels Kern: Im Wort “frei”. Die Griechen haben ein sehr klares Verständnis von Freiheit. Als Nation haben sie in der Vergangenheit sowohl eine lange Phasen der Vorherrschaft aber auch lange Phasen der Unterdrückung erlebt; und obwohl die osmanische Herrschaft mehrere Generationen zurückliegt, ist die Erinnerung daran noch immer Teil der griechischen Psyche, ein etwa blank liegender Nerv.
Griechen haben einen gut entwickelten moralischen Kompass. Sie kennen den Unterschied zwischen Gut und Böse. Als Nation sind sie zutiefst religiös und die Religion dient ihnen als moralische Richtlinie. Aber ihre Lebenseinstellung neigt zum Anarchischen. Sie zeigen sich über auf Regeln und Vorschriften wenig erfreut, die ‚von oben’ kommen, insbesondere wenn sie ohne nennenswerten Nutzen willkürlich in die persönliche Freiheit eingreifen. Sie sehen im ganzen Ansatz von Regelungen, die die „Menschen vor sich selbst schützen” sollen, einen Angriff auf ihr Selbstbestimmungsrecht, eine Einmischung ohne Wert. Wenn ihnen also in der Sommerhitze Helme unbequem sind, tragen sie auf dem Roller keine, ungeachtet der hohen Strafen (350 €, bei Zahlung innerhalb von zehn Tagen 175 €).
Die Griechen sagen sich: „Was zum Teufel denken sich diese Leute, mir vorschreiben zu wollen, was ich tun und lassen soll, wo es doch nur mich etwa angeht?“ Dabei denke ich gar nicht an rebellische junge Männer (obwohl hier viele davon rumlaufen), ich spreche von Durchschnittsbürgern. Rechtsanwälte, Verkäuferinnen, Friseure, Büroangestellte, engagierte Mütter, Rentner, Polizisten außerhalb (und manchmal innerhalb) ihrer Dienstzeit. Gewöhnliche Menschen, die die Auferlegung von Helmgesetzen unerträglich finden.
Ebenso sieht es mit den Rauchverboten aus. Das „Passivrauchen ist gefährlich“-Meme stößt hier im Allgemeinen auf Spott. Im Gegensatz zu den Briten und Amerikanern akzeptieren die Griechen Propaganda-Slogans nicht ohne weiteres, wenn sie mit eigenen Augen anders sehen. Und mit dieser gesunden Portion Skepsis gesegnet, erkennen sie die Natur der Rauchverbote – willkürliche Beschränkungen, die auf Geheiß eines Rudels freudloser Fanatiker ohne vernünftigen Grund verhängt worden sind. Das nennt sich in der lokalen Umgangssprache “μαλακία“.
Das „Wall Street Journal” hat es in einer Artikelüberschrift vor ein paar Monaten treffend zusammengefasst: Das Hauptproblem der griechischen Raucherbekämpfung sind die Griechen selbst.
Und den Möchtegern-Antirauchern in Griechenland helfen solche Dinge überhaupt nicht. Hierbei handelt es sich um ein ziemlich neues Foto (von letztem Jahr, glaube ich) des stellvertretenden Gesundheitsministers auf einer Pressekonferenz. Vermutlich irgendwo im Parlamentsgebäude oder Gesundheitsministerium hat er eine Zigarette genossen. Er ist offenbar Chirurg.
Ο άνθρωπος αυτός ειναι επιφορτισμένος με την εφαρμογή της Αντικαπνιστικής Νομοθεσίας…σε ποια Χώρα θα στεκόταν; pic.twitter.com/zYhVHn5VdW
— Άδωνις Γεωργιάδης (@AdonisGeorgiadi) May 30, 2016
Noch ein kleiner Auszug aus einem Artikel:
„Griechische Parlamentarier missachten Rauchverbot
Genau wie andere Griechen, die in den letzten zehn Jahren fünf Rauchverbote ignoriert haben und sich überall eine anzünden, rauchen die griechischen Abgeordneten offen im Parlament und verletzen somit ihr eigenes Gesetz in dem Gebäude, in dem sie es beschlossen haben.“
Das ist schon eine Weile her, aber ich bezweifle, dass sich etwas geändert hat.
Und nicht zuletzt verspürt die Polizei keine besondere Lust, gewöhnliche Menschen zu verfolgen, weil sie etwas tun, worin sie (die Polizisten) kein echtes Problem sehen. Polizist Kostas, Polizist Dimitris und Polizist Andreas gehen gern nach der Arbeit in die Kneipe, um ein kaltes Bier (oder einen heißen Kaffee) trinken und eine Zigarette zu rauchen. Im Winter wollen sie nicht draußen stehen, um zu rauchen, also sind diese Jungs nicht sehr motiviert, ihre Lieblingskneipe zum Rauchverbot zu zwingen. Sie haben Besseres zu tun. Es gibt jede Menge Polizisten wie Kostas, Dimitris und Andreas in der griechischen Polizei. Und viele von ihnen rauchen. Vor ein paar Jahren musste ich zu meiner Hauptwache. Im vorderen Büro standen ein halbes Dutzend Polizisten, von denen die meisten rauchten, um drei oder vier Schreibtische herum.
Der Qualm war so dicht (im Winter, also gab‘s keine offenen Fenster), dass man kaum die großen „RAUCHEN VERBOTEN” – Schilder an der Wand hinter ihnen (dort hingen einige) sehen konnte.
Das sind eben die Eigenheiten der Griechen…
Alles in allem besteht quer durch alle Schichten wenig Begeisterung für Rauchverbote, abgesehen von einer kleinen Gruppe Antiraucher-Aktivisten abgesehen, die gelegentlich öffentlich aus Verzweiflung über die eigensinnigen Griechen in Tränen ausbrechen und sich die Haare raufen. Schließlich wollen sie ihnen doch nur helfen, oder? Aber sie richten wenig aus, wahrscheinlich weil die griechische Regierung mit ihren begrenzten Mitteln Wichtigeres zu tun hat, als einen Haufen Antiraucher zu finanzieren, die viel Geld brauchen, um eine wirksame, umfassende Propagandakampagne zu starten.
Wenn die Mainstream-Medien hier über die mangelnde Umsetzung des Rauchverbots berichten, stehen sie interessanterweise weitestgehend im Einklang mit der globalen Presse, da sie anscheinend voll und ganz davon überzeugt sind, dass Rauchverbote gut und Verstöße dagegen schlecht seien. Dennoch scheint niemand diese redaktionelle Linien zu beachten.
Als ich vor ungefähr 15 Jahren nach Griechenland zog, gab es in den Pubs in Großbritannien kein Rauchverbot, und so habe ich keinen Unterschied bemerkt, obwohl 2002 das erste Rauchverbot in Griechenland erlassen wurde. Ich hatte das griechische Rauchverbot in keiner Weise beachtet, als ich hier eine Kneipe betrieben habe. Es gab immer Aschenbecher an der Bar und an allen Tischen, und ich bekam regelmäßig Besuch von der Polizei, die überprüfte, ob ich über die richtigen Papiere verfügte, um die Kneipe zu betreiben. Ohnehin habe ich den Polizisten normalerweise einen Kaffee ausgeschenkt, den sie tranken, während sie an der Bar saßen und eine Zigarette rauchten, also würden sie doch nicht wegen der Raucherlaubnis anzeigen, oder?
Als ich nach 2007 nach England gereist bin, habe ich gemerkt, wieviel Glück ich hatte, dass ich nach Griechenland gezogen war. Die ersten Male in der alten Heimat nach Einführung des Rauchverbots waren eine echte Erschütterung. Ich bin in ein paar meiner alten Pubs gegangen, und es wirkte, als wären diese ausgeweidet worden. Keiner der alten Stammgäste war dort zu finden, und die Pubs waren kalt und im Wesentlichen unfreundlich, es fehlte die Atmosphäre (und die Gäste). Ich war entsetzt. Die letzten Male, die ich in England war, habe ich mich nicht einmal in eine Kneipe begeben. Wozu auch? Die Leute sitzen dort mit versteinerten Gesichtern still herum. Es gibt sie nicht mehr, den Tumult und die Freundlichkeit, man muss vor die Tür gehen und im Regen stehen, wenn man eine Zigarette rauchen will, und das Bier ist auch teuer. Das macht keinen Spaß.
Und so ist es fast ein Wunder, dass nur 17.000 Pubs seit dem Rauchverbot dicht gemacht haben. Ich hätte eine höhere Zahl erwartet, wenn man bedenkt, wie fürchterlich Pubs jetzt sind. Aber vielleicht waren es nur die paar Pubs, in die ich ging. Vielleicht sind andere besser dran. Keine Ahnung. Es scheint, als wäre eine ganze Kultur auf einen Schlag zerstört worden. Es ist so eine Schande. Britische Pubs waren damals toll und ich habe viele schöne Erinnerungen an sie. So also sieht es aus, zehn Jahre nach dem britischen Rauchverbot und 15 Jahre nach dem erste griechischen Rauchverbot (man hat es schon mehrmals versucht), und ich kann immer noch in meine örtlichen Kneipen und Restaurants gehen und erhalte einen Aschenbecher auf dem Tisch. Niemand runzelt die Stirn, niemand hustet ostentativ, niemand macht eine abschätzige Handbewegung, nichts von alledem. Die Tatsache, dass ich an meinem Tisch rauche, fällt nicht auf. Keiner bemerkt es.
Es gibt Gaststätten, in denen nicht geraucht werden darf, aber das ist die freie Entscheidung des Wirtes, und es gibt Orte, an denen die Leute von sich aus nicht rauchen, wie z.B. in Supermärkten (vor der Tür stehen dort normalerweise große Straßenaschenbecher). Aber in den kleineren Geschäften sieht man sehr oft den Besitzer hinter dem Ladentisch rauchen.
Das erinnert mich an eine Zeit in den frühen 90er Jahren, als ich für etwa 18 Monate im Süden des Peloponnes war. Damals gab es nur wenige Supermärkte, und meine deutsche Freundin und ich machten gelegentlich einen Ausflug nach Athen, was etwa fünf oder sechs Stunden Fahrt entfernt war, um in einem großen Supermarkt in der Nähe des alten Hellenikon-Flughafens einzukaufen. Der Supermarkt hatte alle möglichen Waren im Angebot, von exotischen Raritäten wie Cheddarkäse, Currypulver, Branston-Gurke, Worcester-Soße und vielen anderen wünschenswerten Dingen, die an unserem Wohnort nicht verfügbar waren. Es war ein ziemlich großer Supermarkt, und in der Mitte stand eine Steh-Bar mit Bier vom Fass, und da ließen wir uns nieder, während die Frauen mit ihren Einkaufswägen die Gänge auf und ab rollten. Es gab Snacks an der Bar und man konnte dort auch rauchen. Das hat wirklich den Einkaufstress genommen. Es war einfach so … zivilisiert. Ja, die griechischen Eigenheiten…
Über den Autor Nisakiman