Rauchen an US-Unis
Ich hatte das große Glück, mein College-Studium in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern zu absolvieren. Es war die Blütezeit unbekümmerten Studentenlebens in den Vereinigten Staaten. Nach den Campus-Protesten und Unruhen der Sechziger wurde den Studenten, nachdem sich die Dinge erst einmal wieder beruhigt hatten, ein großes Maß an Freiheit und Autonomie gewährt. Es gab Unterschiede von Campus zu Campus, doch als ich 1978 an der Staatsuniversität von New York in Stony Brook ankam, war diese ein recht freizügiger Ort.
Das Mindestalter für Alkoholkonsum lag bei 18 Jahren und es gab häufig Partys, insbesondere an Donnerstag-Abenden, da viele Campus-Bewohner nah genug an zuhause wohnten, um übers Wochenende heimfahren zu können. Es gab sechs oder sieben von Studenten geführte Kneipen auf dem Campus. Auch andere psychoaktive Substanzen, wie z.B. Cannabis, waren äußerst populär. Ich würde sogar sagen, dass Cannabisgebrauch tatsächlich weiter verbreitet war als Alkoholkonsum. Studenten bekifften sich ganz ungeniert an öffentlichen Orten, ohne irgendwelche Konsequenzen. Einmal besuchte ich eine Weihnachtsfeier in einem College-Foyer, in dem ein Christbaum stand, der mit Quaalude geschmückt war (Methaqualon, ein Beruhigungsmittel, das nach verbreiteter Ansicht als Stimulans für sexuelle Aktivitäten betrachtet wurde). LSD und andere Psychedelika waren ebenfalls ganz groß, sowie, in geringerem Maße, Kokain und – während Prüfungsphasen – Amphetamine, alles ganz offen. Wenn man mir damals gesagt hätte, dass eine Zeit kommen würde, in der man auf amerikanischen Campussen nicht einmal mehr Tabak rauchen dürfen würde, dann hätte ich denjenigen für verrückt erklärt.
Man durfte praktisch überall auf dem Campus rauchen. In Fragebögen der Wohnheime wurde gefragt, ob man Raucher oder Nichtraucher sei, aber praktische Auswirkungen hatte das nicht. Ganz gelegentlich bat mal ein Professor darum, im Hörsaal nicht zu rauchen – aber das war selten. Der Antiraucher-Kreuzzug in der Gesellschaft als Ganzes hatte eben noch nicht ernsthaft begonnen.
Die „Reagan-Revolution” der Achtziger wollte das Vermächtnis der Sechziger beseitigen, und brachte zunehmende Einschränkungen im Studentenleben. Die Reagan-Regierung reanimierte den Krieg gegen die Drogen und erzwang ein scharfes Vorgehen in der gesamten Gesellschaft. Am bedeutsamsten war die Anhebung des Mindestalters für Alkoholkonsum, die nach einigen Jahren einer vermehrten Medien- und Regierungsaufmerksakeit auf Trunkenheit am Steuer und anderen Gefahren des Alkohols erfolgte. Obwohl es Widerstand dagegen gab, fehlte die Unterstützung durch Ältere, die nicht betroffen waren. Jetzt verlegte sich der Alkohol- und Drogenkonsum in den Untergrund, obwohl auf meinem Campus ein paar Kneipen offen blieben, welche nun (vorgeblich) nur noch über 21-Jährige bedienten.
Gleichermaßen wurde das Rauchen mehr und mehr eingeschränkt, nachdem die Anti-Raucher-Bewegung (als Teil einer zunehmenden Gesundheitsbesorgnis und des wachsenden Neopuritanismus synchron mit einem „Reinemachen” der Gesellschaft) mehr und mehr Einfluss gewonnen hatte. Zunächst wurden sämtlichen Unterrichtsräume als “rauchfrei” deklariert. Dann wurde das Rauchen auf bestimmte Innenräume beschränkt.
Nachdem auch das in den Neunzigern als zu tolerant betrachtet wurde, wurden die Raucher nach draußen verbannt. Ein jeder, der mit dem Fortschreiten von Anti-Raucher-Strategien vertraut ist, wird diesen Ablauf wiedererkennen. Als erstes verschwanden die Zigarettenautomaten, wie sie es auch anderenorts taten, so dass nur eine Anzahl kleiner Kiosks und Feinkostlädchen verblieb, um sich Tabakwaren zu verschaffen.
Das Studentenwerk, das alle wirtschaftlichen Aktivitäten auf den Campussen regelt, gab schließlich dem Druck nach, sämtlichen Tabakverkauf auf den Geländen zu stoppen. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass die Universität zu einem erheblichen Teil aus einer großen Forschungsklinik gebildet wird – mit dem daraus resultierenden Argument, dass die Universität keine Tabakwaren verkaufen solle, wo sie doch selbst so viel Forschung zum Tabak betreibe.
Die Klinik und der angrenzende Ostcampus waren auch die ersten Orte, an denen das Rauchen überall, selbst im Freien, verboten wurde, wenngleich es vorkam, dass Klinikbesucher das Verbot missachteten und es Gerüchte gab, in einem Veteranen-Altersheim gebe es einen Raucherraum. Bevor es zum Totalverbot auf dem Westcampus kam, tauchte auf einmal – wie aus dem Nichts – eine studentische Anti-Raucher-Gruppe auf.
Als Erstes besuchten sie Vermieter außerhalb des Campus, um sie dazu aufzufordern, Raucher bei der Vermietung von Wohnraum zu diskriminieren. Zudem machten sie eine Schau daraus, Zigarettenkippen aufzusammeln, und zu behaupten, die Raucher seien für den Großteil des Abfalls auf dem Campus verantwortlich. Getränkedosen, Schokoriegelverpackungen oder was sonst so auf den Boden geworfen wird, sammelten sie allerdings nicht auf. Ich schätze mal, dass sie das Anti-Zucker-Aktivisten überlassen wollten, wenn diese auf der Bildfläche erscheinen.
Und als jeglicher Tabakgenuss auf den kompletten fast 6 Quadratkilometern der Universität Stony Brook im Jahr 2016 verboten worden war (einschließlich Kautabak, vermute ich mal), verschwand diese Gruppe völlig von der Bildfläche. Überall proklamieren jetzt Schilder, dass Stony Brook „stolz darauf ist, tabak-frei” zu sein, ganz so wie staatliche Schulen sich auf Schildern den Status der „Drogenfreiheit” attestieren. Eine Freundin von mir feixt jedes Mal, wenn sie an diesem Schild außen an ihrer alten High School vorbeifährt.
Wenn man jetzt also auf dem Campus ist und eine Zigarette rauchen möchte, jedoch kein Auto hat, hat man das Campusgelände zu verlassen, was von den meisten Stellen aus einen erheblichen Geländemarsch mit sich bringt. Ich komme nur einmal pro Woche auf den Campus und habe keine Ahnung, wie Studenten und Bedienstete das handhaben. Ich bin mir sicher, dass es da Unterschlupfe gibt. Allerdings frage ich mich, was der kumulative psychologische Effekt von dermaßen viel Versteckspiel ist.
Ein anderer Campus der Staatsuniversität – kleiner, stärker auf Berufsbildung bezogen berufsbezogen und mit mehr Arbeitermilieu – verfügt über drei „ausgewiesene Tabakkonsum”-Bereiche in Form von Bus-Wartehäuschen mit Kippenbehältern. Obwohl der Campus recht überschaubar ist, liegen die Raucherbereiche nicht besonders günstig, vor allem nicht für eine Zigarette in den zehn Minuten zwischen zwei Kursen. Im Übrigen haben viele Bundesstaaten bzw. Kommunen mittlerweile das Mindestalter für den Tabakwarenkauf auf 21 erhöht, so dass man argumentiert, dass die „Kinder” niemanden beim Rauchen sehen dürfen, damit sie nicht auf dumme Ideen kommen. Ich wollte, ich könnte sagen, dass es Zeichen der Hoffnung gibt, doch damit tue ich mich schwer. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Mehrheit der US-Bevölkerung jeden noch so weitreichenden Eingriff in ihr Leben hinnimmt, so lange man ihr vorgibt, es sei nur zu ihrem Besten. Natürlich, es gibt Widerstand, und wer weiß, ob der Widerstand nicht zu etwas wächst, das das Pendel zurückschwingen lässt in Richtung Freiheit und Toleranz.