Als Raucher in New York
Ich lebe in Long Island, einem Vorstadtbezirk in der Nachbarschaft von New York. New Yorker brüsten sich gerne ihres Schneids, ihrer Zähigkeit und ihrer Raffinesse. Die „Stadt, die niemals schläft“ ist auch bekannt für ihre kosmopolitischen Freizeitbeschäftigungen. Man findet dort Nahrungsmittel aus aller Welt und Nachtclubs für wirklich jeden Geschmack.
New Yorks Ruf als Ort, an dem wirklich alles geht, reicht bis in koloniale Zeiten zurück. Im Gegensatz zum biederen, calvinistischen Boston, haben die holländisch-pragmatischen Ursprünge des Handelszentrums New York eine viel säkularere, tolerantere Atmosphäre hervorgebracht als die scheinbare Heimstatt vor religiöser Verfolgung Geflohener mit dem Anspruch auf Errichtung des eigenen Gottesstaates.
Demzufolge erwies es sich auch als bittere Pille, als der seinerzeitige Bürgermeister Michael Bloomberg Pläne für ein Rauchverbot an allen öffentlichen Plätzen enthüllte. Vor Bloombergs Herrschaft hatte man Rauchverbote weitgehend mit Orten wie dem müslifressenden Kalifornien (von den New Yorkern u.a. wegen seiner obsessiven Kultur des Gesundheitswahns verspottet) und dem seinen puritanischen Wurzeln treu ergebenen Massachusetts assoziiert.
Der erste Ort, an dem ich jemals Kneipen erlebte, in denen man nicht rauchen durfte, war passenderweise Salem, ein wenig nordöstlich von Boston gelegen und berühmt für seine Hexenjagd im Jahre 1692 (20 Menschen wurden hier getötet. Eher läppisch nach europäischen Maßstäben, ich weiß…).
Bürgermeister Bloomberg hatte das Verbot nicht zum Teil seines Wahlprogramms gemacht. Die Anzeigen des milliardenschweren Kandidaten sagten lediglich aus, dass er einen „Plan” für die Stadt habe, ohne näher auf Details einzugehen.
Als er dann gewählt war, und seine Entschlossenheit verkündete, das Rauchen an praktisch allen öffentlichen Orten – inklusive meiner geliebten Kneipen – zu verbieten, rief ich mehrfach seinen Pressesprecher, einen gewissen Jordan Barowitz, an, um zu erfahren, warum Bloomberg die Verbannung der Raucher nicht ganz offen gefordert hatte, als er für sein Amt kandidierte, insbesondere, da er nun behauptete, das Verbot sei die „populärste Sache, die wir jemals gemacht haben”. Eine Antwort habe ich nie erhalten.
(Interessanterweise kandidiert Bloomberg heute für die US-Präsidentschaft, und schüttet sein Geld überall hin, damit die Führung der Demokraten [als New Yorker Bürgermeister war er anfänglich Republikaner] die Regeln verbiegt, wer denn für Debatten und Vorwahlen qualifiziert ist. Es ist schon angsterregend, in den USA mit dem Schreckgespenst zweier sehr reicher, sehr unangenehmer Individuen konfrontiert zu sein, die miteinander darum ringen, wer sich die Präsidentschaft erkauft. Bloombergs Wahlkampf fußt allerdings NICHT auf seinem glorreichen Triumph, New York zu einer raucherfeindlichen Stadt gemacht zu haben – was mich vermuten lässt, dass die „Stimmen der rauchenden Wähler”, die gemeinhin in keiner öffentlichen Diskussion Erwähnung finden, dennoch Realität sein könnten.)
Das Rauchverbot trat im März 2003 in Kraft. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, winkte der Gesetzgeber im Bundesstaat New York etwa eine Woche später völlig gedankenlos ein ähnliches Verbot durch. Somit gab es nur noch eine Handvoll Orte, wo man Tabakwaren drinnen genießen konnte, zumeist Zigarren- oder Shisha-Bars, welche vom Verbot nicht betroffen waren, da sie einen gewissen Prozentsatz ihres Umsatzes durch Tabakverkäufe erzielten. Angeblich konnten auch andere Betriebe Ausnahmegenehmigungen beantragen – ich kenne allerdings keinen, der dies getan hätte, jedenfalls keinen, der tatsächlich eine solche Genehmigung erhalten hätte. Ich vermute, dass man es so eingerichtet hat, dass man es praktisch verunmöglicht hat, in den Genuss dieser Ausnahmeregelung zu kommen.
Außerhalb der Stadt kenne ich keinen Ort, an dem man drinnen rauchen kann, während man einen Drink genießt. Da in den Vorstädten mehr Platz vorhanden ist, haben dort einige Kneipen Außengastronomie oder Hinterhöfe, die bei warmem Wetter recht nett sind.
Solcherart pendle ich etwa anderthalb Stunden, um das Leben auf eine Art und Weise zu genießen, wie es mir gefällt. Darüber hinaus spare ich mein Geld, um zu Orten mit vernünftigeren Regelungen zu reisen (derzeit ist Pennsylvania die nächstgelegene Gegend mit liberalerer Ausnahmepolitik; man findet dort selbst in Kleinstädten mindestens eine Raucherkneipe). Natürlich ist das viel zu tolerant für den Geschmack einiger Leute, sodass ständig Bemühungen laufen, das abzuschaffen.
Mit wenigen Ausnahmen habe ich seit Einführung des Rauchverbots im Staate New York keine Zigaretten mehr gekauft. Wenn der Staat New York Krieg gegen mich führen will, werde ich ihm nicht auch noch die Munition finanzieren, indem ich ihm Tabaksteuer bezahle. Ich kaufe meine Zigaretten außerhalb dieses Bundesstaates oder außer Landes oder aber ich bitte Bekannte, die verreisen, mir welche mitzubringen. Steuerfreie Zigaretten bekommt man zudem in Indianer-Reservaten (die theoretisch nicht Teil des Staates sind). Bei Gelegenheit habe ich auch schon mal Zigaretten von Personen gekauft, die mich an Bushaltestellen angesprochen haben. Da ich kein starker Raucher bin, reichen diese Quellen für meine Zwecke aus.
Zum Zeitpunkt, als das Verbot verabschiedet wurde, lebte ich in New York City, in Brooklyn, und mein Vertreter im Stadtrat war ein gewisser Bill DiBlasio. Ich rief in seinem Büro an, und drängte ihn, gegen das Verbot zu stimmen. Am Tag der Abstimmung rief ich erneut an und man sagte mir, dass er dafür gestimmt habe. Im Nachhinein wurde behauptet, Bloomberg habe gedroht, jedes Ratsmitglied, das gegen das Verbot stimme, werde bei der nächsten Wahl einen Gegner haben, dessen Wahlkampf Bloomberg mit einer Million Dollar unterstütze.
Von Gesetzes wegen ist die Amtszeit der Bürgermeister von New York auf zwei Wahlperioden beschränkt, doch erneut nutzte Bloomberg sein beträchtliches Vermögen und seinen Einfluss: diesmal, um sich eine dritte Amtszeit zu erkaufen. Als diese vorbei war, wurde er von keinem Geringeren als Bill Di Blasio abgelöst, der den Staffelstab übernahm, indem er das Rauchen in städtischen Parks und an Stränden verbieten ließ.
Während ich diese Zeilen schreibe, gibt es Bestrebungen, das Rauchen in Sozialwohnungen zu verbieten, während im vorstädtischen Suffolk County ein Rauchverbot in sämtlichen Appartements und Reihenhäusern angedacht wird, was eine weitere abstoßende Eskalation darstellt.
Update: Gerade wurden als Reaktion auf den Coranavirus sämtliche Kneipen und Restaurants im Staat New York und mehreren Nachbarstaaten geschlossen. Gouverneur Andrew Cuomo hat im Fernsehen verkündet, er sei froh darüber, dass die anderen Staaten mitmachten, sodass verhindert werde, dass die Menschen in Nachbarstaaten mit geringeren Restriktionen entkommen. Es sieht so aus, als müssten wir alle, ob Raucher oder Nicht~, bis auf weiteres erst einmal ohne soziales Leben auskommen.
Silberstreif am Horizont: Nach schlechten Ergebnissen in mehreren Vorwahlen hat sich Mike Bloomberg aus dem Rennen zurückgezogen. Sein Geld wird die Demokratische Partei allerdings weiterhin beeinflussen. Ich habe gehört, dass zwei der drei verbleibenden Kandidaten versprochen haben, im Falle ihrer Wahl das Dampfen zu verbieten.