In Österreich gibt es wieder Alternativen
Ein Bekannter aus Deutschland hat mich ersucht, ich möge einen Kommentar zum österreichischen Antiraucher-Volksbegehren verfassen. Wir haben uns einst in den Nuller-Jahren im Internet getroffen, beide irgendwie überrascht, überrumpelt und auch entsetzt, welche wohlchoreographierte Welle des Hasses und des Vernichtungswillens gegen rauchende Menschen nunmehr aus den USA bei uns in Europa angekommen ist. Fast immer einer Meinung, waren wir uns sicher: Mit der Hetze gegen rauchende Menschen setzen eine Entzweiung der Gesellschaft und eine Zerstörung des bisher gewohnten Zusammenlebens ein, die noch einen weiten und langen weiteren Weg der Entwicklung vor sich haben werden. Wir sollten Recht behalten.
Ja, mittlerweile hat sich beileibe viel getan, das neue Haus Europa wurde mit völlig neuen Bausteinen errichtet. Der wichtigste neue Baustein der Umgestaltung wurde die Alternativlosigkeit. Es gibt in sämtlichen Fragen der Politik nicht einmal mehr ein Entweder-Oder, schon längst nicht mehr die Möglichkeit eines Kompromisses. Die neue Art der Politik kann nur mehr in eine Richtung marschieren. Das sollten auch die rauchenden Menschen zu spüren bekommen, denn daraus entwickelte sich noch der zweite Baustein, nämlich der der Überführung der politischen Auseinandersetzung aus der Sphäre der sachorientierten, themenbezogenen Politik in die Sphäre der Gesinnung. In der Sphäre der Gesinnung gibt es keine wiederum Alternativen, weil es nur mehr eine einzige Gesinnung geben kann, nämlich die richtige.
Wer allerdings dem Lager angehört, es gäbe doch Alternativen, man könnte zumindest einmal die andere Seite anhören oder sich mit ihr vielleicht irgendwo in der Mitte zu einem Kompromiss treffen, man sollte doch dieses Quasireligiöse, dieses Moralisieren, Belehren, Erziehen und Erretten aus der Politik heraushalten, der ist schon abgespalten, gehört nicht mehr „dazu”, ist schon allein deshalb zum „Feind” übergelaufen. Debatten um Alternativen werden nur mit dem politischen Gegner geführt, nicht mit dem moralischen Feind, und der hat keinen Anspruch auf Angehörtwerden, wo er ja nicht einmal mehr existieren darf in der neuen politischen Sphäre.
Der Erste, der diese neue Qualität der Feindschaft zu spüren bekam, der kein Recht auf Parteistellung hatte, der moralisch so tief stand, dass niemand mit ihm sprach, sondern nur mehr über ihn, der niemandes Mitleid, Sympathie oder Solidarität empfangen durfte, war der rauchende Mensch. Um ihm seine Gewohnheit zu verbieten, wurde der Rechtsstaat erstmals ausgehebelt, wurden Eigentums- und Gewohnheitsrecht gebrochen, und es wurde politisch korrekt, Raucher zu beschimpfen, zu diskriminieren und jede auch noch so dreiste Lüge über Tabak und Rauchen wurde moralisch gerechtfertigt und mit Begeisterung und Eifer verbreitet. Die Idee eines totalen Rauchverbots drang binnen weniger Jahre in sämtliche Bereiche des Zusammenlebens ein. Die EU als oberste politische Ordnungsinstanz mit dem Anspruch der totalen Gleichschaltung der Mitgliedsstaaten nahm sich sehr rasch dieses Themas an. Lobbyisten leisteten volle Arbeit, und auch Österreich folgte wie selbstverständlich diesem erzwungenen Trend, wenn auch mit wenig Begeisterung und geringem Drang, eine Vorreiterrolle beim Kampf gegen Rauchen und Tabak einzunehmen. In Zeiten dünner und dünnster Mehrheiten in den Parlamenten war die Angst, die Wähler zu vergrämen, zu groß.
Seit 1995 ist „Nichtraucherschutz” (Regierung Vranitzky, SPÖ-ÖVP) ein Thema geworden, damals noch frei von Hass und Hetze und noch als Bemühen unterwegs, nicht rauchenden Menschen Refugien zu schaffen, wo eben nicht geraucht wurde. Das bedeutete, man überließ es den Betroffenen, allesamt erwachsene Bürger, sich ihr Leben und ihre Umgebung nach ihren Vorlieben zu gestalten, mit oder ohne Rauch. Soviel Liberalität schmerzte die regulierungssüchtigen Beamten in Brüssel, und so erfolgte 2009 die Rüge, das „WHO-Rahmenübereinkommen zu Eindämmung [sic! Man beachte den Gesinnungswandel seit dem „Nichtraucherschutz”] des Tabakrauchs” von 2003 freudiger und engagierter umzusetzen.
Vor zehn Jahren fand die Regierung (SPÖ-ÖVP) eine „Zwischenlösung”: Betreiber von Einraumlokalen unter 50 m² konnten entscheiden, ob sie Raucher- oder Nichtraucherlokal sein wollten; größere Lokale mussten, wenn die Betreiber Rauchen erlauben wollten, einen abgetrennten Raucherraum haben. Für die Errichtung der Abtrennungen gab es bis 2010 eine Übergangsfrist.
2015, unter Bundeskanzler Faymann (SPÖ-ÖVP-Kabinett), ließen sich die Lobbyisten offenbar nicht mehr hinhalten, und es wurde schließlich ein totales Rauchverbot ab Mai 2018 beschlossen. Faymann sollte allerdings diesen Tag nicht mehr als Bundeskanzler erleben, auch sein Nachfolger Kern nicht, am 18. Dezember 2017 wurde eine neue Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP-FPÖ) angelobt. Vizekanzler Heinz-Christian Strache, selbst bekennender Raucher, hat die Aufhebung des totalen Rauchverbots in die Regierungserklärung hineinreklamiert. Die „Partei der kleinen Leute”, wie sich die FPÖ selbst oft bezeichnet, war mit dieser Forderung bereits in den Wahlkampf gegangen. Die im rechten Spektrum angesiedelte, stark etatistisch ausgerichtete Partei, galt viele Jahre hindurch als „nicht koalitionsfähig”. Es war ein immer wiederkehrendes Ritual für sämtliche Politiker in Bund oder Ländern, stets „offen” für alle Koalitionen zu sein, nur nicht mit der FPÖ, die auch immer stark EU-kritisch aufgetreten ist. Auch Kurz war erst nach einer kleinen parteiinternen „Revolution” zum Spitzenkandidaten gekürt worden, seine Anhänger sind demnach nicht „schwarz”, sondern „türkis”. Diese Regierung war in jeder Hinsicht ein Bruch mit vielen ungeschriebenen „Regeln”.
Die Grünen, die es nicht einmal mehr in den Nationalrat geschafft haben, und die SPÖ, die nach Jahrzehnten der Kanzlerschaft plötzlich Oppositionspolitik machen musste, standen vor einem Scherbenhaufen und mussten sich erst einmal neu formieren. Mit dem Vorlegen der Regierungserklärung wurde die Idee kreiert, die junge Regierung mit einem Thema ins Wanken zu bringen, von dem man sich erhoffte, die Massen mobilisieren zu können. So wurde zweifellos die Idee des Volksbegehrens „Don’t Smoke” geboren. Dabei bediente man sich zweier „unpolitischer” Gruppierungen, dieses Volksbegehren einzubringen, der österreichischen Ärztekammer und der österreichischen Krebshilfe. Erstere ist die Standesvertretung der Ärzte, letztere ein gemeinnütziger Verein, der sich mit Krebsvorsorge und Früherkennung befasst. Zweifellos ist es sicher nicht aus der Luft gegriffen, diesen beiden Organisationen eine gewisse Nähe zur Pharmaindustrie nachzusagen.
Für alle, die nicht so sehr mit der österreichischen Verfassung vertraut sind, möchte ich das Instrument „Volksbegehren” kurz schildern: Jeder Staatsbürger kann einen Gesetzesvorschlag als „Volksbegehren” beim Innenministerium beantragen. Bringt er in diesem Einleitungsverfahren 8401 Unterschriften, wird es als Volksbegehren zugelassen, und die Staatsbürger haben dann eine Woche Zeit, es in den Verwaltungsbehörden oder online zu unterschreiben. Erhält es mehr als 100.000 Unterschriften, muss sich der Nationalrat damit befassen. Er kann es als Gesetz annehmen oder mehrheitlich ablehnen. Im Zuge von politischen Diskussionen bzw. im Wahlkampf haben sowohl Kurz als auch Strache eine Stärkung der direkten Demokratie in Österreich gefordert, ein bekannter und häufig angewandter leerer Topos der österreichischen Innenpolitik, vor allem der Grünen. Dabei wurde die Zahl 100.000 genannt, sollte sie erreicht werden, sollte es in Zukunft eine verpflichtende Volksabstimmung über dieses Gesetz geben. Dazu wäre jedoch zuvor eine Verfassungsänderung nötig, eventuell sogar über eine Volksabstimmung, ein Verfahren, das in das Kapitel Illusionen über Äußerungen in der Politik gehört.
Kaum hatte das Einleitungsverfahren begonnen, hyperventilierten sämtliche Regierungsgegner und die meisten Medien des Mainstream, die so gut wie ausnahmslos Gegner der Regierung sind. Sämtliche Behauptungen, Vorurteile und Lügen über Tabak, Rauchen und rauchende Menschen wurden zusammengetragen und mit Kritik an der Regierung verknüpft. Täglich überschlugen sich neue Horrormeldungen. In den ersten zwei Tagen des Einleitungsverfahrens brachen die Server des Innenministeriums mehrfach zusammen, binnen 72 Stunden wurde die 100.000-Marke überschritten. Es ist noch nicht oft passiert, dass die „magische” 100.000er-Zahl bereits im Einleitungsverfahren erreicht wurde. Alle Initiatoren und Sympathisanten triumphierten, sahen sie ja dieses Volksbegehren als Abstimmung über erst seit wenigen Monaten tätige Regierung. 591.146 hatten es unterstützt. Vom 1. bis 8. Oktober 2018 erfolgte das eigentliche Eintragungsverfahren. Zwischenzeitlich hatte die Regierungskoalition angekündigt, ab einer Zahl von 900.000 Unterzeichnern eine Volksabstimmung durchführen zu lassen. 881.569 Österreicher haben es unterschrieben, 13,82% der wahlberechtigten Gesamtbevölkerung.
Die Enttäuschung war groß: Es gab kaum nennenswerte Zuwächse an Unterstützung gegenüber dem Einleitungsverfahren. Die Zielgruppe für ein allgemeines Rauchverbot in der Gastronomie war ausgereizt, die Idee einer triumphalen Abstimmung gegen die Regierung tot.
Besonders groß war die Enttäuschung in den Medien, die Journalisten mussten einmal mehr erleben, dass auch ihre Beeinflussungskraft Grenzen besitzt. Ein paar Tage noch hielt die “Empörung”, dass es nun keine Volksabstimmung gebe, obwohl die 100.000er-Marke überschritten worden war, an, dann kehrten Ruhe und Normalität ein. Auswertungen der Zahlen der Unterstützer ergeben ein klares Bild: Mehr Unterstützung in Gegenden mit tendenziell starkem Grünwähler-Anteil, kaum Unterstützung auf dem Land und in den ehemals roten und nun blauen Kernwählerbereichen. Man kann nun rätseln: War es wirklich eine Abstimmung über die Regierung, die eben nicht mehr Sympathisanten gefunden hat, oder decken sich Befürwortung von Rauchverboten beinahe nahtlos mit einer bestimmten Gesinnung?
Als Fazit lässt sich feststellen, in Österreich herrscht keine Alternativlosigkeit mehr, gesamtpolitisch nicht und auch nicht in Detailfragen. Hysterische Gesinnungspolitik kann überwunden werden, die Regierung hat in dem knappen Jahr ihrer Tätigkeit mehrfach alte Denkmuster aufgebrochen und eigene Entscheidungen gewagt. Zweifellos sind wir rauchenden Menschen in Österreich davon Nutznießer, vielleicht bald auch anderswo.
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