Rauchen vor dem Krankenhaus
Seit Jahren habe ich das niederländische Wort für „Rauchverbot” als Google Alert abonniert. In den letzten Jahren erbrachte das durchschnittlich fünf Meldungen pro Monat. In der letzten Zeit sind es durch die Bank wieder mehr als zwei pro Tag. Die Antiraucherhetze lodert also wieder stark auf: In medizinischen Kreisen, die etwas auf sich halten, ob Einzelpersonen oder Organisationen, gehört man offenbar nur noch dazu, wenn man laut gegen die Tabakindustrie protestiert. Organisationen drängeln sich nun, strafrechtlich gegen die Tabakindustrie vorzugehen, und Krankenhäuser können kaum erwarten, ein rauchfreies Außengelände anzukündigen.
Das Antirauchertum ist zur religiösen, wenn nicht gar sektiererischen, Bewegung geworden, mit einem Gott und einem Teufel. Die Tabakindustrie ist der Teufel und die Kumpels der Mediziner, die Pharmaindustrie, ist der Gott. Keine Rolle in diesem Kampf spielen übrigens die Raucher selbst. Sie werden zwischen beiden Parteien zerrieben und beim Treffen von Entscheidungen nicht einmal konsultiert. Entgegen den Behauptungen der Antiraucherlobby gibt es noch viele Raucher, die überhaupt nicht aufhören wollen und bestimmt nicht scharf sind auf Zwangsentwöhnung durch nicht wirkende Medikamente wie Nikotinpflaster oder – noch schlimmer – Antidepressiva.
Krankenhausgelände rauchfrei zu machen ist die neueste Gängelei, die sich die Antiraucherlobby für Raucher ausgedacht hat. Dabei handelt es sich um die zur Zeit unmenschlichste Maßnahme, die medizinische Kreise ausgebrütet haben: Genau in der Situation, in der Menschen, also auch Raucher (ja, Raucher sind auch Menschen!) den größten Stress erleben, bei einer Krankenhauseinweisung, wird ihnen ihr wichtigstes Stressbekämpfungsmittel, das Rauchen, genommen. Dass dies ihrer Genesung nicht zu Gute kommt, kann sich jeder normale Mensch denken, die medizinische Welt aber offenbar nicht. Außerdem stellt sich die Frage, welchen Effekt ein Rauchverbot auf dem Gelände bei Rauchern, die sich nur für eine kurze Behandlung dort aufhalten, bewirken soll. Sie stecken sich nach ihrer Entlassung im Auto auf dem Parkplatz gleich wieder ihre erste Kippe an. Und auf die Bereitschaft rauchender Patienten, sich überhaupt ins Krankenhaus einweisen zu lassen, wirkt sich ein Rauchverbot negativ aus. All dies kommt einer qualitativ guten Patientenversorgung nicht zu Gute, sondern geht nach hinten los!
Man muss sich fragen, wie die Gesundheitsbranche so tief sinken konnte. Hat es mit der Ärzteausbildung zu tun, wo die menschliche, soziale Komponente der Gesundheitsversorgung zu kurz kommt? Besteht in der Branche interner Druck, der herrschenden Doktrin hinterherzulaufen, um dazuzugehören, und, noch wichtiger, Sponsorengelder zu akquirieren? Gestattet die Branche überhaupt noch einen kritischen Blick auf die Ziele, die man anstrebt? Oder spielt die innige Verbindung von Fachärzten und ihren Organisationen mit der Pharmanikotindustrie eine Rolle? Ist sich die Antitabaklobby überhaupt bewusst, welch großen sozialen, psychischen und ökonomischen Schaden sie in der Gesellschaft anrichtet?
Unabhängige Untersuchungen zur Effektivität der ganzen Antiraucher-Maßnahmen der letzten Jahrzehnten gibt es nicht. Forschung auf diesem Gebiet wird in den meisten Fällen von befangener Seite bezahlt und kann daher nicht objektiv sein. „Primum nil nocere” („Vor allem keinen Schaden anrichten”), eines der wichtigsten Prinzipien des medizinischen Fachs, wird in den letzten Jahrzehnten im Kampf gegen das Rauchen (und die Raucher) mit Füßen getreten. Wie der einzelne Arzt das vor sich selbst verantworten kann, ist mir ein Rätsel – es sei denn, er findet Trost in dem irreführenden Gedanken, dass 75 Prozent der Raucher aufhören wollten und deswegen kujoniert und gesellschaftlich ausgeschlossen werden müssten.
Dieser Text ist zuerst in niederländischen Regionalzeitungen erschienen.