Rauchen und die hohe Politik nach russischer Art (2/3)
„Vor der Präsidentschaftswahl im März 2018 wird es keine neuen Rauchverbote oder andere große tabakbezogene Maßnahmen geben”, verriet mir ein russischer Abgeordneter vertraulich. Er mag falsch liegen, aber eine gewisse Logik hat das. Jeder Politiker, der das Thema aufgreifen will, geht hohe Risiken ein, zumindest das Risiko einer plötzlich verteilten Wählerschaft. Nicht nur bei diesem speziellen Thema sind die Wähler verteilt. Umfragen zeigen eine deutliche Verschiebung der öffentlichen Meinung in dieser Frage. Sie lag vor dem Inkrafttreten der Rauchverbote im Jahr 2013 bei 50-50, jetzt sind stehen rund 60 Prozent dem Gesetz und zukünftigen Verboten ablehnend gegenüber.
In meinem vorigen Beitrag habe ich über die russische Art des unbeugsamen passiven Widerstands gegen alle Arten von Verboten gesprochen. Das war die Grundlage; und wie geht es im Reich der hohen Politik zu?
Als erstes müssen Sie wissen, dass das 2013 verabschiedete Gesetz nicht von dem Mann zu trennen ist, der Russlands Präsident zum Zeitpunkt seiner Einführung war, nämlich Dimitri Medwedew. Und nur sehr wenige Politiker in unserer gesamten Geschichte waren so unbeliebt wie Medwedew. Man setzt hohe Erwartungen darauf, dass er nach der Wahl von seinem derzeitigen Amt als Ministerpräsident entfernt wird, um der neuen Generation von Führungsfiguren Platz zu machen, die eines Tages Wladimir Putin ersetzen wird.
Das Anti-Raucher-Gesetz stand 2011 kurz davor, im Parlament zu scheitern, als Medwedew persönlich in seiner Eigenschaft als Chef des „Einigen Russlands“, der Regierungspartei, intervenierte. Das war sehr typisch für diesen Mann mit dem Ruf eines unerbittlichen Reformers. Zur Verdeutlichung: Umfragen zufolge hat das Wort „Reform” im heutigen Russland einen so schlechten Klang, dass 70 bis 80 Prozent der Russen es hassen. Wir befürworten vielleicht alle möglichen Verbesserungen (wer nicht?), aber eine Reform steht hier als Synonym für eine drastische, von oben aufoktroyierte Veränderung durch Kräfte, die besser zu wissen glauben, wie wir unser Leben führen sollen. Rauchverbote passen genau in diese Kategorie.
Soweit zu Medwedew. Gleichzeitig ließ sich feststellen, dass sich der sehr sportliche Nichtraucher Wladimir Putin vorsichtig von der Anti-Raucher-Kampagne losgelöst hat. Er ist bekannt für seine Äußerungen über die Bekämpfung des Rauchens, ohne dabei aber die Menschenrechte mit Füßen zu treten. Putin ist für seinen angeborenen Instinkt bekannt, in fast allen Fragen mit seiner Nation übereinzustimmen. Deshalb liegen seine Zustimmungsraten für die bevorstehenden Wahlen je nach gestellter Frage zwischen 67 und 90 Prozent. Oppositionelle Politiker kämen bestenfalls auf 5 Prozent schaffen.
Putin reitet gerne auf Themen herum, bei denen er mit der Zustimmung von über 90 Prozent der Bevölkerung rechnen kann, wie etwa die Rückkehr der Krim nach Russland. Demgegenüber hasst er strittige Fragen, besonders wenn eine Seite aggressiv wird. Und genau das tun die eifernden Anti-Raucher. Putin spricht in diesen Tagen bereits von „der harmonischen Zukunft, die ohne Achtung der menschlichen Würde und der traditionellen ethischen Werte unmöglich zu erreichen ist”. Er spricht auch über geeignete Formen der Debattenführung, nämlich „die eigene Meinung zu äußern und das so gut, dass die anderen diese Position akzeptieren”. Alles in allem sind Anti-Raucher nicht gerade seine Freunde, jedenfalls nicht im Augenblick.
Aber wie sieht es mit einem Wiederaufflammen des Anti-Raucher-Kreuzzuges nach der Wahl aus? Das ist ein sehr schwieriges Thema. Wie erwähnt, erwarten wir einen Regierungswechsel. Und Weronika Skworzowa, die Gesundheitsministerin und Speerspitze der Anti-Raucher-Politik, ist inzwischen das am wenigsten beliebte Kabinettsmitglied geworden. Das liegt nicht nur am Thema Rauchen. Was wir nicht mögen, ist die Zerstörung eines Gesundheitssystems, die – siehe oben –als Reform verkauft wird. Vereinfacht gesagt, führt diese zu oft schlechterer medizinische Versorgung bei steigenden Preisen. Normalerweise sollte Frau Skworzowa also gerade jetzt über das Rauchen besser schweigen. Dennoch hat sie kürzlich eine neue Version nationaler Ziele für eine ‚rauchfreie Zukunft‘ vorgelegt. Bei diesem Dokument handelt es sich um eine Neufassung eines ähnlichen britischen Plans – mit zwei grundlegenden Unterschieden. Erstens ist es gegen jedes neue Nikotinabgabesystem (wie zum Beispiel elektronische Zigaretten), während die Briten mittlerweile die gegenteilige Ansicht vertreten. Und zweitens ist das russische Dokument eine Studie in Sachen Hass gegen Tabakunternehmen und alles und jeden, der auch nur entfernt mit ihnen „in Verbindung gebracht” werde kann. Die Regierungsvertreter sollen sogar daran gehindert werden, irgendwelchen Tabakverkäufern auch nur die Hand zu schütteln und vergessen, dass jeder das Recht hat, „die eigene Meinung zu äußern und das so gut, dass die anderen diese Position akzeptieren”.
Alles in allem sieht die Initiative sehr nach einem Versuch aus, bei der Tabakbekämpfung noch etwas zu erreichen, bevor es zu spät ist. Das ist ein verzweifelter Versuch, da dieses Dokument zuerst mit den übrigen Ministerien abgestimmt werden muss. Ihre Position ist bekannt. Erst vor gut einem halben Jahr haben sie Skworzowas damaligen und radikaleren Plan kollektiv abgelehnt.
Das Gesundheitsministerium ist bei anderen Ämtern sehr unbeliebt, da es ihnen vielfach den Gang in die Katastrophe vorgibt. Zigaretten noch teurer zu machen, bedeutet, die Tore für Schmuggel und Fälschungen zu öffnen, wie es in Australien, Großbritannien und anderswo geschieht. Die Ministerien für Handel und Finanzen mögen das nicht. Der Versuch, den Schmuggel einzudämmen, verlangt vom Innenministerium viel Geld und Mühe, und das stößt dort nicht auf Begeisterung. Die allgemeine Stimmung in den Regierungsbehörden ist düster, sie wollen, dass Skworzowa das Thema Tabak beiseitelegt und sich der medizinischen Katastrophe annimmt, die ihr Ministerium geschaffen hat. Trotzdem marschiert sie weiter.
Weronika Skworzowa selbst ist eine wirklich nette Frau und eine gute Ärztin. Wie in anderen Ländern liegt das eigentliche Problem in der medizinischen Anti-Tabak-Lobby, die sich wie ein Blutegel am Gesundheitsministerium festgesaugt hat. Sie kümmert sich nicht um Skworzowas Karriere, sie sind nervös und in Eile. Das spiegelt den allgemeinen Zustand der weltweiten Anti-Tabak-Bewegung wider, die spürt, wie die Erde unter ihren Füßen zittert, und weitere Verbote und andere hässliche Initiativen vorantreibt. Die Funktionäre in Russland kennen mittlerweile die allgemeine Situation recht gut und wehren sich im Stillen gegen neue Anti-Tabak-Initiativen, von der Umsetzung der bestehenden ganz zu schweigen. Auf jeden Fall warten alle auf die neue Regierung nach den Wahlen im März, vielleicht mit einem neuen Gesundheitsminister, und wollen alles, was den Wahlergebnissen in die Quere kommen könnte, bis dahin auf Eis legen.
Wie Sie sehen, leidet Russland unter den gleichen Problemen wie alle anderen Länder, und doch befindet es sich in einer ganz anderen, vielleicht in einer einzigartigen Position. Wie kann also mein Land denjenigen helfen, die gegen die globale Anti-Raucher-Krankheit kämpfen? Ich kenne viele Menschen, Europäer und Amerikaner, die auf die Rettung aus Russland hoffen, mit seiner historischen Bilanz, die vielen weltweiten Seuchen ein Ende gesetzt hat, angefangen von den Napoleonischen Kriegen oder sogar früher. Einige meiner ausländischen Freunde sprechen davon, dass sich für die Anti-Raucher-Front jetzt ein Stalingrad-Showdown aufbaut.
Ich werde versuchen, einige meiner Ideen zu diesem Thema im nächsten Beitrag zu mitzuteilen.
Über den Autor Dimitri Kosyrew
Beitragsbild: pixabay