Widerstand auf Russisch (1/3)
Meine jüngste Reise nach Altai, einem bezaubernden Berggebiet in Sibirien, das an China und die Mongolei grenzt, hat die Erkenntnis bestätigt, dass Russen historisch nicht gegen Verbote kämpfen. Sie schwächen diese stattdessen mit passivem, aber unbezwingbarem Widerstand ab und setzen sie so außer Gefecht. Über den einzigen Ort in Altai, wo man sich beim Rauchen leicht an einem falschen Ort befinden und bestraft werden kann, ist der Flughafen (und so ist es mir dann auch passiert). Der Rest der Region ist grundsätzlich frische Luft, Dörfer und touristische Einrichtungen mit Anlagen.
Eine Anlage besteht normalerweise aus einer eine Ansammlung von Holzchalets mit vielleicht einer Gemeinschaftsstruktur, einer Küche und einem Badehaus. Es gibt „Rauchen verboten”-Schilder an den Chalets, aber andererseits haben diese sich immer dort befunden. Holz neigt zum Brennen, wenn ein betrunkener Bewohner eine Zigarettenkippe fallen lässt, und das ist ein bekanntes Problem. Aber wenn Sie dort rauchen, wird Sie niemand daran hindern, und dem Besitzer der Anlage käme es am allerwenigsten in den Sinn, die Gäste zu belästigen.
Steigende Tabakpreise sind ein großes Problem. Die Menschen auf dem Lande von Altai sind nicht reich. Ein Freund von dort besitzt einen kleinen Dorfladen, und ihm zufolge sind die Zigarettenverkäufe gesunken, aber es gibt keinen Bauer in der Gegend, der nicht angefangen hat, eigenen Tabak selbst anzubauen. Nicht eine einzige Person aus dem Bekanntenkreis meines Freundes hat mit dem Rauchen aufgehört, trotz aller Statistiken aus dem Gesundheitsministerium. Die Stadtjugend tendiert zur E-zigarette, aber meistens weil es cool ist, nicht weil sie „Schaden reduzieren” wollen.
Unsere Raucherrechtsbewegung, die über Niederlassungen in etwa 50 der 85 russischen Regionen verfügt, hat eine ganze Reihe von Fällen dokumentiert, in denen die Rauchverbote offen oder heimlich boykottiert werden. Die Gebühr für Rauchen in Zügen beträgt etwa zwei US-Dollar pro Tag, die dem Zugschaffner in bar ausgehändigt werden. Für diese Summe informiert der Schaffner die Fahrgäste, wann die Polizeipatrouille wieder weg ist und wann sie wieder neu erscheinen kann. Die Patrouillen bemühen sich sowieso nicht sehr, Raucher zu belästigen.
Es gibt Restaurants mit Schildern: „Wir rauchen hier“. Es gibt große Flughäfen, in denen Raucherzimmer, entgegen allen Verboten, mit der vollen Zustimmung der Stadtbehörden zur Verfügung gestellt werden. Große Hotels in Städten können ständigen Kontrollen unterliegen, aber in den kleineren sind Raucher immer willkommen. Manche Ärzte raten einem, keinen Rauchstopp auch nur in Betracht zu ziehen, wenn man in ihre Krankenhäuser eingewiesen wird, da man eine Belastung durch Entzugserscheinungen am Vorabend einer Operation vermeiden will.
Gleichzeitig veröffentlichen die Behörden der regionalen Gouverneure extrem hochgeschraubte Berichte über das Fallen der Raucherquoten. Die Empfänger dieser Berichte glauben sie in einem noch geringeren Ausmaß als die Absender, aber sie verwenden diese Fälschungen für weitere Reports. So liegen all diese Raucherzahlen in Russland um 17 oder sogar 27 Prozente.
Man muss über Russland und das Ausland viel wissen, um den grundlegenden Unterschied zwischen dem Leben der Raucher in Russland und dem der Raucher in anderen Ländern zu erkennen. Der Unterschied liegt in den Dingen, die Russland sich nicht einmal vorstellen kann. Unsere Raucher fühlen sich nicht isoliert. Wir sind in keiner Weise Bürger zweiter Klasse. Keiner (außer wenigen Ausnahmen) glaubt wirklich, dass es so etwas wie Passivrauchen gibt, das jemandem Schaden zufügen kann.
Wir haben nicht all jene hässlichen, hysterischen Frauen, die ihre Hände vors Gesicht halten oder: „Ich ersticke im Rauch“ schreien. Uns fehlt ganz einfach diese Graswurzel-Idiotie, die das Leben der Raucher in den USA oder einigen Teilen Europas unerträglich macht.
Sie können hier gegen die Verbote reden und schreiben (und das tue ich wöchentlich vor einem immer breiteren Publikum). Sie können mit den hässlichen Anti-Raucher-Funktionären in TV- oder Radio-Debatten treten und sie zerreißen (und viele machen das), da die Anti-Raucher es nicht gewohnt sind, auf irgendeinen Widerstand zu treffen. Die TV-Leute jubeln dann offen.
Bisher bestanden die einzig ernsthaften Probleme für Raucher in naziartigen Jugendbanden, die Menschen angreifen und versuchen, sie am Rauchen zu hindern, aber zum Glück waren das nur Einzelfälle.
Auf der anderen Seite sprechen sich Sänger und Künstler, junge und alte Stars, Mediziner, Akademiker – ein bedeutender Teil der russischen Elite – für das Recht zu rauchen aus und gegen die Verbote. Und dadurch steigen diese Persönlichkeiten nur noch mehr in Ansehen.
Die Verbote im Westen kamen nach Jahren der Massengehirnwäsche, während in Russland das Gegenteil der Fall war. Und selbst die Gehirnwäsche, die zwischenzeitlich auch bei uns angekommen ist, wird (mit Verachtung) als der völlig zum Scheitern verurteilte Versuch der Regierung betrachtet, ihre übliche Torheit zu wiederholen.
Russland hat eine lange Geschichte von Regierungen, die versuchten, den Menschen etwas aufzuzwingen, was die allgemeine Gesundheit und den Lebensstil verbessern soll. Solche Versuche endeten unweigerlich in Katastrophen. Der jüngste Fall waren die ‚halbtrockenen‘ Gesetze und Vorschriften, die 1985 von Michail Gorbatschow eingeführt wurden, gleich nachdem er an die Macht kam. Übrigens hat diese Initiative Gorbatschow in den Augen der Bevölkerung sofort verdächtig gemacht.
Die ‚halbtrockenen‘ Gesetze bezogen sich aufs Trinken, nicht aufs Rauchen. Manche verlangten damals ein totales Verbot des Alkoholkonsums und sprachen von einer „Alkohol-Epidemie”. Es gab Einschränkungen jeglicher Art, laute Propaganda, es wurden Geldstrafen verhängt, Karrieren ruiniert. Es gab auch einen schrecklichen Anstieg des Konsums jeder Art von Spirituosen, vielfach mit tödlichen Vergiftungen. Was von dieser Zeit geblieben ist, ist der Ruf der Prohibitionisten als Dorfidioten sowie die allgemeine Überzeugung: niemals wieder. Und wir trinken mit Freude weiter.
Als um 2010 dann das „härteste Anti-Tabak-Gesetz weltweit” für Russland eingeführt wurde, wussten alle im Voraus, dass es zum Scheitern verurteilt war. Ich habe gehört, dass viele unserer Abgeordneten dafür gestimmt hätten im vollen Wissen, dass es eh nicht funktionieren würde, warum also Zeit für Debatten verschwenden?
Russland hat keine Zivilgesellschaft wie der Westen. Es gehört zu einer sehr langen Liste von Konsens-Gesellschaften. Der häufigste Fall solcher Ansätze manifestiert sich in der Art, wie wir unsere Führer wählen. Wie in China, Kasachstan und so weiter, beginnt die Nation von einer allgemeinen Vereinbarung über die Person, die der Führer sein sollte, während Wahlen nur als formaler Akt der Bestätigung dieser Entscheidung dienen. Lustig, aber die Vereinbarung kommt wie von selbst, und die Medien oder andere Mittel der Massenkommunikation sind ohnmächtig, ihren Willen der Öffentlichkeit aufzuerlegen. Eine wirklich umstrittene Wahl wird gewöhnlich als Zeichen eines kranken Zustandes einer Gesellschaft angesehen.
Ebenso können Protestdemonstrationen (gegen Rauchverbote oder überhaupt) nur in Moskau oder vielleicht auch 2-3 anderen Städten mit ihrer eigenartigen und westlichen Bevölkerung geschehen, aber sie bedeuten im Wesentlichen nichts. Ähnlich irrig sind Kundgebungen, die Rauchverbote oder andere Richtungen unterstützen. Was zählt, ist die allgemeine Stimmung der Öffentlichkeit. Und die Stimmung in unserem Fall ist nicht gerade für das Rauchen (wir wissen, dass es Rauchern schaden kann), allerdings gegen die Verbote als Mittel, um überhaupt Probleme zu lösen.
Aber nochmals: Wir gehen nie aktiv gegen unpopuläre Maßnahmen vor. Wir ignorieren sie lieber durch gemeinsamen Konsens und sabotieren sie bei jeder passenden Gelegenheit. Diese Art von Widerstand hat sich im Laufe der Jahrhunderte als unbesiegbar bewiesen.
Die Geschichte des erwähnten „härtesten Gesetzes weltweit” und wie es in Russland eingeführt wurde, verdient besondere Aufmerksamkeit. Wir werden im nächsten Teil dieser Reihe darüber reden.
Über den Autor Dimitri Kosyrew
English version, Version française
Beitragsbild: Dimitri Kosyrew